„Morgen…“ sagte Helmut am Mittwoch abend am Telefon „…habe ich frei und werde mal mit der NSU nach Fulda fahren…“ Nach solchen Sätzen folgt gerne mal eine künstlerisch wertvolle Pause.
Eine beredte Pause.
‚Ja, ich weiß, das ist ein scheißlahmer Krapfen, der kaum den Berg gescheit hochkommt.‘ sagt die Pause.
‚Ich fände es aber trotzdem gut, wenn wir zusammen fahren würden, auch wenn du dich zu Tode langweilst‘ sagt sie auch. Der kleine Zyniker in mir meint auch immer noch ein ‚wenn du mitfährst, kommen wir wenigstens sicher mit EINEM Motorrad nach Hause‘ zu hören, aber das bilde ich mir bestimmt nur ein.
Selbstverständlich fahre ich gerne mit, denn zum einen holt Helmut selbst aus dem alten Eimer noch so etwas wie Motorrad fahren raus, zum zweiten sind mit Sicherheit die Pausen unterhaltsam, zum dritten würde ich solche Touren für so einen guten Freund auch mit seiner 50er machen (und hoffen, dass keiner meiner Freunde das zum Anlass nimmt, sich eine zuzulegen) und zum guten Schluss kann man eine Tour auch so planen, dass beide auf ihre Kosten kommen.
„Um neun im Stattcafé zur weiteren Besprechung?“
Machen wir.
Dort angekommen bei herrlichem Sommerwetter wird erst mal ein Herrenfrühstück1 eingenommen, bevor wir uns auf den Weg machen. Die Strecke soll sein: Über die Friedberger aus Frankfurt raus und dann irgendwie Richtung Büdingen und weiter. Letztendlich soll das Garmin zumo entscheiden. Pflicht: Keine Fernstraßen, keine Autobahns. Lacht nicht, so heißt das da tatsächlich, dieser Ausschluss regelt, dass uns das zumo noch nicht mal über Bundesstraßen führt, was die Durchschnittsgeschwindigkeit soweit reduzieren sollte, dass man sich auch in Begleitung eines Moppeds von 1939 des Schnitts nicht schämen muss.
Auf der anderen Seite steht, dass man von Frankfurt nach Fulda (85km oder so) auch drei Stunden und 150km brauchen kann, die haben es aber in sich und machen nur Spaß. Man kommt durch Ortschaften, die nur auf Karten mit großem Maßstab überhaupt aufscheinen, fährt durch Bindsachsen und lernt, dass Stork nicht nur ein Ober- sondern auch ein Unterstork hat. Schweben. Kann man nicht, aber kennt man dann. Magdlos war bestimmt der arme Bauer, der dem Flecken darob diesen Namen gab.
Weiterer großer Vorteil des Navigationsgerätes an meinem Motorrad: Ich fahre vorne. Der sonore Klang der NSU ist zwar über jeden Zweifel erhaben, hinter ihr wird einem aber sonor schwummerig, auf Dauer zumindest.
Es fällt leicht, auf langweiligen Passagen mit 60 vor sich hin zu ötteln, während Helmut und die NSU mit ausgewrungenem Gasgriff das aufholen, was ich auf dem Weg den Berg hoch herausgefahren habe und so haben wir alle was davon. Wunderschöne Landschaften, verträumte Dörfchen aus dem Fachwerkpoesiealbum mit wahlweise a. alten Frauen, die tratschen und/oder im Garten arbeiten oder b. kleinen Jungs oder Mädchen, die mit Hunden durch die Gegend stromern. „Reisen wie zu Olims Zeiten!“ sagt Helmut und fühlt sich authentisch. Ich komme mir vor wie auf einer Zeitreise.
Auf der Straße ist hauptsächlich landwirtschaftliches Gerät unterwegs, was sich auch im Fahrbahnbelag widerspiegelt, auch eine langsam gefahrene Kurve wird mit ordentlich Dreck darin erheblich anspruchsvoller.
Zwischendrin dann auf einmal wunderbar geschwungenes Geläuf mit nagelneuem Asphalt, den man mal der ganzen Reifenbreite zeigen muss.
Zur Mittagszeit erreichen wir Büchenberg bei Fulda, daselbst ‚NSU-Motzke‘ und ich frage vorsichtshalber, ob ich überhaupt auf den Hof fahren darf. Nicht dass mir die im Angesicht des Fließfetts werkelnden Altertumsforscher einen Modernitäts-Infarkt erleiden, wenn eine 94er VFR erscheint.
Helmut braucht eine andere Zündkerze, mein ketzerisches Angebot, ihm eine von den beiden, die ich eh nicht brauche, zu überlassen, wird geflissentlich überhört.
Begeistert sind alle jedenfalls. „Damit bist du von Frankfurt bis hierher gekommen?“ wird Helmut gefragt. (Mich hat das noch nie einer gefragt…)
Mit geänderter Vergasereinstellung und einem neuen Zündkerzenstecker an der NSU brechen wir eine Stunde später wieder auf, um auf verschlungenen Pfaden, hinter schnarchnasigen Dosentreibern und monströs großen Treckern die gute Landluft (Kölnisch Kuhstall oder betörender Erdbeerduft) zu genießen.
Hinter Büdingen haben wir keine Lust mehr auf den Landstraßenzickzackkurs und nehmen die Bundesstraße 521.
Welch ein Jammer das ist.
Da gibt es so schreckliche Sachen wie Ampeln. Wenn man mal eine Weile durch die ländliche Vergangenheit fuhr, weiß man erst, wie schön das Leben ohne diese Dinger sein kann. Außerdem gibt es Stau, es winken keine Kinder mehr und alle sind irgendwie genervt.
Nur wir nicht. Helmut ist glücklich, weil die NSU nicht mehr so fett läuft und sich bei der Gasannahme williger als noch zuvor zeigte. Ich freue mich an der Erfahrung des Bundesstraßenausschlusses und werde ihn öfters bemühen. Er schafft ein unvorstellbar hohes Maß an Kontemplation, ein nahezu meditatives Element.
Auf dem Alleenring in Frankfurt zeigt sich sogar der Motorradcop sehr zugetan. „Mit dem Ding haste einfach überall Freunde.“ sagt Helmut. Ich halte dem kleinen Zyniker in mir den Mund zu, der was von ‚Mitleid, das ist nur Mithmeim. Mmam mmmumm…‘ erzählen will.
Um fünf sitzen wir wieder im Stattcafé und lassen den Tag Revue passieren. Wunderschön war der Ausflug, köstlich ist das kalte Bier vor uns, mit Planungen eines digitalen Cockpits (Modell Enterprise) für die NSU klingt der Tag aus.
3 Kommentare
Jens · 27. Juni 2009 um 12:14
Peter M. Pirsig? :-)
sparta · 27. Juni 2009 um 12:22
Große Fußstapfen, die da vor mich gemalt werden :-)
Coincidence: Der Pirsig, den ich immer noch nicht gelesen habe, liegt derzeit mit Prio 2 im Original auf meinem Nachttisch (hinter dem hier, NICHT im Original), avanciert aber u.U. zum Begleitbuch Prio 1, falls ‚Mystic River‘ (im Original) zum Badewannenbuch erklärt wird.
Ich muss mal wieder einen Organisations-Workshop mit mir halten.
wjl · 27. Juni 2009 um 20:20
Was für ein schöner Bericht – danke dafür! Und ja, er geht wirklich beinah in die Pirsig-Ecke. Mehr Zeit müßten wir alle haben, und mehr Gegend wie in Montana auch…
Gruß an Euch, und nächstes Mal will ich mitschleichen (äääh sorry Helmut, brennen natürlich)