Als Deine Schwester mich anrufen wollte, hatte ich schon eine Vorahnung. Die SMS mit der Nachricht von Deinem Zustand hat mich dann auch nicht wirklich überrascht, seit Jahren habe ich insgeheim mit dieser Nachricht gerechnet. Du bist dann aus Deinem selbstinduzierten Koma nicht mehr aufgewacht und das war vermutlich auch besser so, zu gravierend wären die Schäden gewesen, um Dir ein Leben mit einem Rest von Selbstbestimmung und Anstand zu ermöglichen.
Das habe ich erfahren, als ich mit Freunden gerade beim Essen saß und ich wurde dort erstmal einsilbig, denn ich hing Gedanken nach. Die wunderschöne, prägende Zeit mit Dir, die große Verbundenheit auch über die weite Distanz zwischen München und Wiesbaden.
Zum Beispiel, als wir spätabends drecküberzogen von einer Exkursion ins Amphibische das erste Haus am Platz (das mit den ganzen gelackten Tennistypen) aufsuchten, Leberknödelsuppe und die teuere Grillplatte bestellten, an Getränken nicht sparten und Du zur Bezahlung lässig einen 500,00-DM-Schein zücktest – was nun gar nicht Deinen Gepflogenheiten entsprach, denn ein Großmaul oder ein Angeber warst du nie. Eine gepflegte Provokation wusstest Du aber jederzeit zu schätzen und eine unerschütterliche Haltung weit links von welcher Mitte hattest Du immer. Eine Haltung, die deinem Elternhaus innewohnte, oder wie soll man als politisch bestenfalls Heranwachsender Zusammenhänge knüpfen, wenn einem auf dem Klo (Flachspüler) ein Aufkleber mit dem Bild von Franz Josef Strauß begegnet. In Falllinie des jeweils darüber schwebenden Anus, wohlgemerkt.
Du hast mich für Amphibien begeistert. Zahllose Wanderungen, vorzugsweise im Regen auf der Suche nach Gelbbauchunken, Alpensalamandern und allem, was die Welt der Frosch- und Schwanzlurche sonst noch so hergab. Oh und erinnerst Du Dich an unsere Hamster? Wir waren bei unseren Großeltern, da warst Du vielleicht 12 oder 13 und wir haben uns von unserem Taschengeld in dem kleinen Ort bei Heilbronn jeder einen Goldhamster gekauft. Käfige hatten wir natürlich keine und die Begeisterung der Eltern hielt sich engen Grenzen, als die beiden possierlichen Tierchen sich in nur einer Nacht durch die Holzkiste genagt hatten, die wir als Unterbringung für adäquat angesehen hatten. (family drama didn’t concern us, it was hard enough to catch the buggers)
Reggae. Linton Kwesi Johnson. Mein erster Joint.
Achternbusch-Filme.
Die Wanderung durch die Kirchsee-Fuizn mit Christa, Steffi und Peter. Alle nass bis auf die Knochen, weil wir durch den Entwässerungskanal schwimmen mussten, schließlich wollten wir ja in den Biergarten. „Zwoa Maß, bittschön.“ „Guade Idee, i nimm a zwoa.“
Ich habe dich besucht mit meinen Freunden aus den Staaten, aus dem Yemen – wir haben Zimthuhn, nein Zimt-Kapaun, da hast du darauf bestanden, gekocht, also Nabil hat das Tier zubereitet, wir haben derweil in eurem großen Garten neben dem Teich ein Bier getrunken. Unertl vermutlich. Jahre vorher hattest du einmal eine Holzkiste mit Bügelflaschen davon mitgebracht und fast immer war welches da, wenn ich zu Besuch kam.
Und ich kam so oft es ging. In der Regel mit Eintreffzeit 11:00 vormittags, damit es noch für ein anständige Portion Weißwürste reichen würde – und wenn ich um 5:00 in Wiesbaden losfahren musste.
Die Kasten-Ente (überhaupt der Enten-Kult), mit der wir zur Arbeit fuhren, wenn ich in den Ferien in Eurer Firma mein Taschengeld enorm aufbessern durfte. Morgens um halb sechs schon in Arbeitsklamotten los, Gauloises-geschwängerte Luft – in der Ente schräg durch München, nachmittags um kurz nach vier zurück nach Taufkirchen. Schlafen. Um acht raus zum Essen, Feiern etc. Wieder mit der Ente.
Maßkrüge klauen nachts am chinesischen Turm. Die Brotzeit daselbst mit Ute, als ihr mir nach eurem Einkauf die schwere Tasche zum Tragen gabt – in der sich nicht nur eine Unmenge an Leckereien, sondern auch Besteck, Teller und eine Tischdecke verbarg, damit wir die Brotzeit auch mit Stil einnehmen konnten.
Die fürchterliche Nacht im Hofgarten am Grabmal des unbekannten Soldaten. Was war in der Tüte drin? Gruselig war es ohne Ende jedenfalls.
Dein Brief mit der Überschrift ‚Werter Cousin‘ – das wurde unsere Standard-Anrede füreinander. Den Brief habe ich noch.
Der Knacks kam, als du mir nicht gesagt hattest, dass du in ziemlichen Schwierigkeiten warst, weil du spektakulär deinen Führerschein verloren hattest. Und zur Arbeit ohne Auto war damals eher superschwierig. Wäre es vermutlich immer noch dort im Münchener Land. Jedenfalls nicht deins. Und so ging die Firma dahin. Und dann du. Irgendwann – weg. Nach Brasilien hieß es. Stimmte wohl auch. Einige Jahre warst du völlig untergetaucht. Auf Gomera seist du, sagte meine Mutter. Irgendwann dann auch wieder zurück in München. Nach einer gefühlten Ewigkeit. Irgendwann haben wir mal telefoniert. Selten, aber das war okay für uns beide. 2008 habe ich dich zuletzt gesehen. In München am Ostbahnhof, als du mich nicht in deine Wohnung lassen wolltest – ja, Ordnungsbegriffe haben wir unterschiedliche gehabt – ich musste mir nie vorstellen, wie der ‚Fan Man‘ wohl aussieht :-D
Hahaha, der Knöterich in der Badewanne, damals in Unterhaching noch – ‚ja, die gehd hoid ned, miaßtas eich am Waschbecken sauber mocha…‘
Jedenfalls – alle paar Monate sprachen wir uns noch über Skype, das Internet begeisterte dich, deine Wissbegierigkeit und Google waren schon ein gutes Match, aber das allein reichte wohl nicht aus. Deiner Schwester hast du geholfen, nach ihrer Zeit im Ausland wieder Fuß zu fassen und von ihr hörte ich dann am 18.09., dass du auf der Intensivstation bist. Am 12.10. bist du gestorben.
Und wo immer du jetzt bist, werden sie auf alle Fälle Spaß haben. Dafür wirst du schon sorgen.
Ich werde dich nie vergessen.
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