1999
Da stand ich nun auf der Bruchfeldstraße und blickte ein wenig skeptisch, aber hauptsächlich optimistisch zu dem beleuchteten Schornstein des Heizkraftwerks ‚rüber.
Das war also jetzt mein Zuhause.
Frankfurt, bis dahin ein Ort für Konzerte in der Batschkapp und Eishockey in der Eissporthalle. Ansonsten nix, Landeshauptstädter haben tendenziell eher Angst vor der großen Stadt. Glaube ich. :-D
Wenige Tage zuvor hatte ich Kathinkas Wohnung zum ersten Mal gesehen und betreten, nun würde ich mit ihr in Zick-Zack-Hausen wohnen, wie die Ernst-May-Siedlung im Volksmund genannt wird.

60 m² auf zweieinhalb Zimmern, kein Balkon, aber ein Gärtchen im Innenhof der Siedlung und natürlich noch das Wochenendhäuschen in Rheingau, für das ich erst vor zwei Jahren die Erbpacht gekauft hatte.
Ein paar Straßen weiter mieteten wir einen abgesperrten Stellplatz für die Motorräder an. Kurze Wege in die und in der Stadt, zumeist mit dem Fahrrad. Für meinen nun etwas längeren Arbeitsweg im Winter kauften wir einen alten Golf Diesel bei einem Händler in Höchst und ich begann schon damals, mich ein wenig in diesen Stadtteil zu verlieben. Diese Altstadt…
Wir lebten unfassbar sparsam. Einkäufe nur bei Aldi, ganz selten mal Essen gehen und dann meistens in die lokale Pizzeria Sardegna, die mit schlichter Einrichtung und ebensolcher Preisgestaltung daherkam.
Aber wir planten langfristig und begannen schon 2000 nach einem eigenen Haus zu suchen. Mit Abfindung von meinem Arbeitgeber und dem Verkauf der Pacht im Rheingau wurde das auch ziemlich fix Wirklichkeit – das Hinterhofgrundstück in Höchst und die schicke Doppelhaushälfte hatten uns sofort komplett überzeugt. 2002 sind wir eingezogen und für mich begann die zweitlängste Zeit, die ich irgendwo an einem Ort gewohnt habe. 18 Jahre in Schierstein in der Schönaustraße, 7 Jahre in Schierstein in der Otto-Reutter-Straße, 5 Jahre in Rauenthal und 3 Jahre in Walluf.

Jetzt folgten 11 gute Jahre in Höchst, wo ich trotz Arbeitslosigkeit und Unfall supergern gelebt habe. Der Höchster Markt, die Ausflüge ins MTZ, der Schlossplatz mit ‚Zum Bären‘ und den Piraten-Stammtischen, die fantastischen Nachbaren in der anderen Hälfte des Doppelhauses, der wunderschöne Garten und die schicken Projekte Küche, Sauna, Carport und Gartenhaus haben viel Freude und Glück gebracht.
Dennoch war dann wieder ein Oktober.

2013
Wie es dazu kam, spielt hier jetzt keine Rolle, jedenfalls stand ich im vierten Stock in der Sophienstraße und mein Blick fiel auf den magentafarbenen beleuchteten Ginnheimer Spargel, der durch das Schlafzimmerfenster meines neuen Teilzeitzuhauses deutlich zu sehen war.

Für vier Monate würde ich jetzt bei Kim in der Wohnung wohnen, danach mein erstes eigenes kleines Reich im selben Haus im Erdgeschoss beziehen. Meine knapp 60m² Einzimmer-Altbauwohnung inkl. Küche, Bad und Balkon. Noch nie habe ich eine Wohnsituation so geliebt wie diese Bude mit den Kristallleuchtern, den hohen Decken und der Straßenbahn, die vor dem Fenster vorbeifährt.

Großstadtflair galore.
Und ja, Höchst ist klasse. Bockenheim und speziell die Sophienstraße sind der Knaller. Die Leipziger Straße keine 200m weg, die Bockenheimer Warte ebenso, keinen Kilometer zum der Grüneburgpark oder in den Palmengarten.
Zu Fuß zur Festhalle und alles, was man zum Leben braucht, in Laufreichweite. Restaurants, Kneipen, Einkaufsmöglichkeiten, die Vielfalt in allen Bereichen, das internationale Flair, die riesige Sprachpalette – geht kaum besser.
12 Jahre würde Bockenheim mein Fixpunkt und Heimatort werden, knapp 10 Jahre davon in meiner eigenen Wohnung.

Und natürlich gab es die ganze Zeit auch das 2010 geerbte Wochenendhäuschen/Grundstück im Rheingau, wo ich die schönsten Momente meiner Kindheit verbrachte und das sich zu einem happy place nicht nur für mich, sondern auch für Kim, die Katzen und Jenny entwickelt hat. Ein neues Dach war geplant, die Fenster haben wir 2018 auf modernsten Stand gebracht und auch eine richtige Haustür einbauen lassen.
2019 haben wir dann mit dem Architekten Frank (einem Freund von Kim), einen Abend vorort verbracht und ihn gefragt, was er sich vorstellen könnte für eine Aufrüstung, die vielleicht sogar zu einem dauerhaften Wohnhaus führen könnte. Franks Idee, ein Stockwerk obendrauf zu setzen, zusammen mit dem Vorschlag des Elektrikers, statt Holzpellets oder sonstigen Energieträgern auf eine Wärmepumpe zu setzen, bildete dann die Basis für das, was dort nach 2022 passierte.
Völlig überraschungsfrei ist wieder Oktober.

2025

26 faszinierende Jahre in Frankfurt gehen jetzt für mich dem Ende entgegen.
Die letzten drei Jahre hatte ich als Pendler zwischen Frankfurt und dem Rheingau verbracht, das Häuschen brauchte noch einiges an Starthilfe. Eine Küche, eine platzsparende Einrichtung – viel Platz ist nämlich nicht und es gibt keinen Keller, in den eins mal den halben Hausstand einlagern kann.
Aber uns ist die Stadt zu laut, zu heiß, zu voll, in Gänze zu anstrengend geworden. Für mich ist sie auch ein Sinnbild für Krankenhaus, Therapie, Ärzte, Schmerzen, Unsicherheit und Angst. Das hat sie nicht verdient, denn ich habe mich in Frankfurt immer wohl gefühlt und bleibe auch verbunden, aber als Lebensmittelpunkt taugt es nicht mehr. Da will ich, wollen wir, mehr Ruhe und gute Luft, mehr Wald und viel weniger Menschen haben.


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sparta

Antifascist. He/His. Get vaccinated. Wear a mask. Jede*r anders, alle Drama. Quality misunderstandings since 1963. Change is constant.

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